“Die kleine private Kameraausstellung mit Schwerpunkt AGFA”

Wie aus Agfa ORWO wurde.

Eine Firmengeschichte in Wort, Bild und Video

Die Entwicklung des Warenzeichens ORWO wurde in der DDR von langer Hand vorbereitet. Man wollte sich lossagen von der westlichen Konkurrenz, verzichtete dabei aber auch auf das Renommee der etablierten Marke Agfa.

ORWO-Filmverpackungen

Es war, als würde der Wind der weiten Welt in die DDR hineinwehen. Als hätte es keine Grenzen gegeben, keine Planwirtschaft und keine leeren Regale. Wer in den 60er-Jahren die ORWO-Werbespots sah, schwelgte im Farbenrausch. Da tanzten halbnackte Damen vor mexikanischer Kulisse, schnelle Motorräder knatterten durch die Landschaft, eine sportliche junge Frau fuhr Wasserski und flotte Swingmusik untermalte das Ganze. Bis zum Schluss konnte man meinen, es handle sich um einen Werbefilm aus dem Westteil Deutschlands: Aufwändig und anspruchsvoll warb die DDR für die Produktpalette von ORWO, der sie zum internationalen Erfolg verhelfen wollte.

Motor einer ganzen Industrieregion

Die vier großen Buchstaben stehen für eine der bekanntesten Marken der DDR: "ORWO", kurz für "Original Wolfen", prangte auf jedem Fotofilm. Wer ein Foto machte oder einen Familienfilm drehte, tat das in der Regel auf ORWO-Material. Das Zeichen wurde zum Motor einer ganzen Industrieregion im Raum Bitterfeld/Wolfen. Aber der Weg dorthin war ein hürdenreicher. Begleitet von rechtlichen Schwierigkeiten und dem ständigen Konkurrenzkampf mit der Bundesrepublik, konnten sich zunächst nur wenige für die neue Marke begeistern.
"Ich glaube, es hat ein Viertel- oder halbes Jahr gedauert, bis das in die Belegschaft so richtig durchgestellt war. Denn ein Agfa-Mitarbeiter zu sein, war damals ein Statussymbol!" Wolfgang Kindermann, langjähriger Mitarbeiter der Filmfabrik

Geboren wurde "ORWO", als sich die DDR Anfang der 60er-Jahre von der renommierten Marke Agfa lösen wollte. Bis dahin gab es eine Art Zweckehe zwischen der Agfa Filmfabrik Wolfen im Ostteil und der Leverkusener Agfa AG im Westteil Deutschlands. Denn beide gingen aus der renommierten "Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation" hervor, die seit Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin erfolgreich Farbstoffe herstellte. Sie hatte in den Folgejahren stark expandiert - unter anderem nach Leverkusen und Wolfen.

Was zunächst eine simple wirtschaftliche Unternehmensausweitung über ganz Deutschland war, wurde aber nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum Problem. Jetzt lagen die Fabriken in verschiedenen Besatzungszonen: Leverkusen in der britischen, Wolfen in der sowjetischen. Zwei Agfa-Werke, zwei völlig unterschiedliche Standorte, zwei sich gegensätzlich entwickelnde politische Systeme. Aus den ehemaligen Schwesterfabriken wurden Konkurrenten.




Das Warenzeichenabkommen bröckelt

Und was man in Wolfen im Nachkriegsdurcheinander versäumt hatte, war in Leverkusen Anfang der 50er Jahre bereits unter Dach und Fach: die Sicherung der Rechte an der Marke Agfa. Doch man wurde sich einig, und so durfte auch in Wolfen weiter unter dem renommierten Markennamen produziert werden.

Aber schon Ende der 50er-Jahre bröckelte das gütliche Warenzeichenabkommen zwischen Ost und West. Die Leverkusener wollten das Qualitätszeichen Agfa nicht durch die nachlassende Wolfener Qualität gefährden. Die von der Agfa AG vertriebenen Ost-Produkte durften deshalb nicht mit der Kennzeichnung "Wolfen" oder "Deutsche Demokratische Republik" beworben werden. Auf der weltgrößten Fotomesse "Photokina" in Köln schloss die Messeleitung 1960 gar den Wolfener Stand, weil man dort Werbebroschüren mit dem Zusatz "Deutsche Demokratische Republik" ausgegeben hatte.

Im Osten wiederum waren sich die Machthaber sicher, dass man für den Erfolg der eigenen Produkte die etablierte Marke nicht notwendigerweise braucht. Die Abhängigkeit vom kapitalistischen Konkurrenten wurde für nicht länger tragbar befunden. Man wollte sich von der Marke Agfa trennen. Kritische Stimmen innerhalb des Wolfener Werks, die sich auf die lange Tradition und den Status der Marke Agfa beriefen, fanden kaum Gehör. Dass unter der Marke seinerzeit der erste benutzbare Farbfilm erfunden und verkauft wurde, dass sie in mehr als 80 Länder exportiert wurde - all das schien bedeutungslos angesichts der Pläne der DDR, eine eigene neue Dachmarke für die Filmindustrie zu entwickeln.


Filme
Agfa- und ORWO-Filme



Folgen der Autarkie-Politik

So beschloss der Ministerrat, dass das Warenzeichenabkommen mit Leverkusen zum 1. April 1964 gekündigt wird. Eine fatale Entscheidung, urteilte Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch später in seiner Studie über die Filmfabrik Wolfen: "Ungeachtet dessen, oder besser gesagt gerade deswegen, hat sich die Filmindustrie der DDR von den Folgen der Autarkie-Politik nicht mehr erholen können."

Der Westen bot noch eine Markenkooperation für den Verkauf in Drittländern an - der Osten lehnte ab. Denn hinter den Kulissen war die Einführung einer eigenen Marke längst vorbereitet worden. Schon am 19. Oktober 1954 war das erste ORWO-Warenzeichen für eine große Bandbreite von Produkten angemeldet worden, die später bekannte Bildmarke mit den vier großen Buchstaben folgte 1963.

Mit großem Aufwand wurde die Einführung des neuen Warenzeichens betrieben und der Name Agfa verbannt. Man zog Geschirr und Handtücher mit dem alten Namenszug ein, auf Tausenden Dias wurde das Agfa-Logo überklebt. Die Umstellung und die damit verbundene Werbung in 57 Ländern kosteten die DDR rund 36 Millionen Valutamark. Von diesen einmaligen Investitionen in Werbung und Technik musste ORWO drei Jahrzehnte zehren und seine Sonderstellung im Chemiedreieck behaupten.



Der Anfang vom Ende

Das ideelle Agfa-Erbe war bald aufgezehrt. Mitte der 70er Jahre geriet das Fotochemische Kombinat in eine wirtschaftliche Krise, begründet in schlechter Arbeitsorganisation und Forschungskooperation im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und den Schwächen in Forschung und Entwicklung. Sogar auf dem osteuropäischen Markt kam Wolfen zunehmend unter Druck. Die Lösung wäre die Umstellung auf das Kodak-System im Farbfilmbereich gewesen. Doch es blieb bei der alten ORWO-Technik.

Den Sprung in die neue Zeit nach der Wende schaffte die Marke ORWO nicht. 1994 hatte die Filmproduktion in Wolfen ein Ende. Die Markenrechte gingen auf die ORWO AG, danach auf die ORWO Media und schließlich auf die ORWO Net GmbH über. 2005 wurde die letzte der alten ORWO-Marken gelöscht. Die Akten beim Deutschen Patent- und Markenamt sind vernichtet. Doch immerhin führt die ORWO Net GmbH, die in Wolfen digitale Bilderdienste anbietet, den Namen bis heute in ihrer Firmenbezeichnung weiter.

Dokumentarfilm des MDR-Fernsehen

- Spuren in Ruinen -
"Der Untergang der Filmfabrik Wolfen"

1. Teil

2. Teil

3. Teil

 

Quelle Text: Webseite des Mitteldeutscher Rundfunk - Damals im Osten - Archiv
Quelle Videos: You Tube